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Herz auf Rädern

Buch: Martin Lüttge und Lotte Reitzner
Ein Projekt des Theaterhof Priessenthal

DarstellerInnen: Rose: Lotte Reitzner, Harry: Josef Erber, Fizzi: Erika Hinterleuthner, Ederholzerin: Anneliese Neumeier, Ederholzer: Stefan Holzner, Eierwalli: Christa Erber, Polizist Pfürzinger: Martin Lüttge, und weitere 117 In- und AusländerInnen.

Kostüme: Marlen Breitinger; Technik: Karl-Heinz Maurer; Inszenierung: Martin Lüttge.

Eine Filmdokumentation, die die Denkmal-Filmgesellschaft München über die Entstehung des Stückes gedreht hat, wurde im 3-Sat-Fernsehkanal am 17. Dezember 1994 ausgestrahlt. www.denkmal-film.de 

  • Die Welle vor dem Zelt - Panoramabühne
  • Zirkuskinder - Schneeflocken
  • Zigeunerinnen
  • Harry Krügers Tod
  • Artisten beim Training
  • August mit Musikern und Sohn
  • Bäuerin auf der Bühne
  • Kunstfahrradkind

Das Stück

Auf der Kirchleiten zu Mehring hat der Circus Krüger die Zelte aufgeschlagen. Wir schreiben das Jahr 1920, der Alzkanal wird gebaut, der wirtschaftliche Aufschwung belebt die Region. Ausländische Arbeitertrupps überschwemmen das Dorf. Die ersten Landmaschinen tauchen auf. Es wird elektrifiziert. Der Circus hat einige verwegene Gestalten und fremdländische Künstler ins Dorf gebracht. Das geht nicht ohne Konflikte und Reibungen ab. Da wird gestohlen, getratscht und wieder geschlichtet. Und zudem hat sich die Tochter des Zirkusdirektors unsterblich in einen Mehringer Bauern verliebt und bleibt für ein Probejahr als Magd. Als nach einem Jahr der Circus wieder in Mehring gastiert, muss sie eine Entscheidung fällen - eine Entscheidung auf Leben und Tod.

Presse

„... Nicht nur Mehringer sind mit von der Partie, sondern auch Bewohner eines Burghauser Asylbewerberheims, die als bosnische Gastarbeiter das Leben ihrer Großväter nachspielen; ein buntes Völkergemisch wird dargestellt. Das Kulissenbild ist in ständiger Bewegung, oft gibt es auf verschiedenen Schauplätzen etwas zu sehen.
Ein bayerisches Theatervergnügen mit mulitkulturellen Einflüssen, das mit viel Phantasie und vollem Einsatz gespielt wird. Die Mehringer Laienspielgruppe ist unter ihren professionellen ‘Paten’ vom Theaterhof Priessenthal über sich hinausgewachsen."
(Burghauser Anzeiger, 28.7.1994)

Wenn der Freiheitsdrang festen Boden berührt

„Der ‘Pfürzinger’ ist ein ganz besonderer Kommissar. Er geht in Mehring um, macht den Zirkusleuten das Leben schwer und wirkt vor allem im Hintergrund. Dennoch lockt der Herr Kommissar die Medien der Nation an, lenkt ihr Augenmerk auf die stattliche Theatergemeinde Mehrings... ca. 120 Spieler, Profis wie Laien bereiten ein zweieinhalbstündiges Vergnügen...

Hinter den Kulissen des Zirkuszelts spielt sich das Spektakel aus der Zeit um 1920 ab, bunte vielsprachige Artistengruppen beim Üben, Pferde mit aufgebundenen Staubwedeln, Lamas..., die Szenen sind in lebhafter Bewegung.
Da paßt das launige Temperament Sepp Erbers hinein, der als Zirkusdirektor Harry Krüger von seinem Wohnwagen aus die Geschicke des Unternehmens lenkt und seiner Tochter Rose einreden will, dass sie zwecks Fusion in einen anderen Zirkus einheiraten soll.

Lotte Reitzner ihrerseits bringt als Rose einen Charakter zum Ausdruck, der Eigenständigkeit, Wildheit und kindliche Verspieltheit zusammenführt. Martin Lüttge, in wilhelminischer Polizeiuniform Strenge ausstrahlend, hat als Pfürzinger die Aufgabe, einem Haferdiebstahl auf den Grund zu gehen. Zusammen mit seinem Befehle nachplappernden Hilfssherif bringt er Unruhe unter die Zirkusleute, die in Reih und Glied antreten und sich in einer köstlichen Szene auf Geheiß des Direktors einzeln vorstellen. Als dem Zirkus ein Spielverbot droht, gibt sich Rose als Diebin zu erkennen.

Stefan Holzner wandelt sich als Bauernsohn Franz Ederholzer vom Ankläger zum Liebhaber, der dem Zauber der Zirkusartistin erliegt. Turbulente Szenen spielen sich ab. Mühlenkathi Marianne Gasslbauer fegt irrwischartig durch die Handlung, hetzt die Einheimischen gegen die Fremdlinge auf. Die Dörfler geraten in ein Handgemenge mit den Zirkusleuten, ein Traktor fährt dazwischen, der den verdutzten Bauern den Anbruch einer neuen Zeit vorführt. Christa Erber hat ihre theatralischen Starauftritte in Zukunftsvisionen, in denen sie das Ende der bäuerlichen Kultur und die Schornsteine voraussieht. Nur mit Mühe kann sie davon abgebracht werden, den Traktor zu demolieren. Die ‘Ederholzerin’ Anneliese Neumeier bringt glaubhaft echt die Angst vor allem Fremden zum Ausdruck. Wider Erwarten arrangiert sie sich mit Rose, die sich entschließt, statt Zirkusleben ein Jahr Bauernhof vorzuziehen.

Ein Gipfelpunkt der Komik wird erreicht in einer Hochzeitsgesellschaft, zu der man den betrunkenen Bräutigam im Schubkarren herbeikarrt. Rupert Wolfswinkler zeigte sich dabei voll in seinem Element als Ausrichter des seltsam feierlichen Zuges. Heimatgeschichte lebt auf. Wolfswinkler zeichnet ein Bild vom rasanten gesellschaftlichen Wandel, der sich dann in Gestalt von bosnischen und kroatischen Gastarbeitern in Szene setzt. Eine Geschwängerte nach der vergeblichen Suche nach ihrem bosnischen Liebhaber, ein Haremsbesitzer vom Zirkus, der der Geprellten den Hof macht.

Geschichten, die die Haupthandlung umranken, die Liebe von Franz Ederholzer zu Rose. Der Entschluß der beiden zur Heirat bringt Harry Krüger um. Sepp Erber mimt mit Bravour den Kranken, der bei der Wiederbegegnung mit der Tochter kurzfristig aufblüht. Er wird vom Boandlkramer, der mit Sense auf dem Wagendach erscheint, endgültig zu Fall gebracht. Ein düsterer Trauerzug verschwindet über dem Hügel. ‘Pfürzinger’ Martin Lüttge fordert wiederum den ‘arbeitslosen’ Zirkus zum Verschwinden auf, wobei er sich unablässig auf das Gesetz beruft. Schließlich bricht bei Rose das Zirkusblut durch, sie entsagt der bäuerlichen Sicherheit und übernimmt Verantwortung für die Artistenschar. Der Zirkus zieht weiter, mit Rose Krüger voran. Der Freiheitsdrang hat gewonnen ...

Das Stück hinterließ ein gerührtes Publikum. Es war eine phantastische Gemeinschaftsleistung, ‘Volkskultur’, wie sie sein kann."
Burghauser Anzeiger  25.7.1994